Portrait
Shigeru Ban

Konstruktion als Kunstform

Shigeru Ban verbindet traditionelle japanische Bauweisen mit moderner Architektur.
Konstruktion als Kunstform
Catherine Hug

Kein Leim, kein Metall, stattdessen ein kunstvolles Ineinander der konstruktiven Teile: Reine Holzverbindungen haben in Japan eine Jahrtausende währende Tradition. Als wichtiger Bestandteil der Zimmermannskunst spiegeln sie die Prinzipien von Präzision, Ästhetik und Langlebigkeit wider. Werte, die aktueller sind denn je.

Shigeru Ban verbindet traditionelle japanische Bauweisen mit moderner Architektur. Viele seiner spektakulären Bauten weisen eine Tragstruktur auf, die gänzlich ohne Leim oder zusätzliche Stahlverstärkungen auskommt. Auch auf reines Zierwerk verzichtet er komplett: Jedes Element hat seinen Platz und seine zugewiesene Funktion. Bei aller Klarheit und Ästhetik wirken seine Konstruktionen dennoch kunstvoll und bisweilen kapriziös. Ban, der bereits in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit Holz und recyceltem Karton zu experimentieren beginnt, gelingt der Durchbruch 1986. Inspiriert von den Röhren der Papierrollen, die in seinem Büro übrig bleiben, setzt der Architekt auf Papprollen zur Konstruktion von Wänden, Dächern und tragenden Strukturen. So entstehen neben eleganten Wohnhäusern auch temporäre Notunterkünfte für den Einsatz in Krisengebieten. Ein Engagement, das bei der Verleihung des Pritzker-Preises 2014 gesonderte Erwähnung findet. Schon 14 Jahre zuvor erfährt Ban für die bis dato größte (Alt-)Papier-Konstruktion weltweite Aufmerksamkeit: Der japanische Pavillon, den er in Zusammenarbeit mit dem deutschen Architekten Frei Otto für die Weltausstellung in Hannover konzipiert, kann am Ende der Weltausstellung demontiert und vollständig recycelt werden.

Mit der „Carta Collection“, Möbeln aus schmalen Kartonrollen und Birkensperrholz, möbliert Ban 2016 nicht nur sein eigenes Wochenendhaus – seines Zeichens ebenfalls eine Papp-Konstruktion. Dabei ist es nicht nur Zellstoff, der den Pritzker-Preisträger fasziniert. Mit großer Experimentierfreude testet Ban die Grenzen weiterer Materialien aus, ersetzt ganze Fassaden durch fließende Stoffe, sprengt mit immer spektakuläreren Dachkonstruktionen aus Holz bisherige Dimensionen. Experimentelle Materialien kombiniert der in einem Holzhaus aufgewachsene Architekt mit Holz und japanischen Handwerkstechniken. Dank häufiger Umbauten seines Elternhauses lernt er die schon früh zu schätzen. Nun entwickelt er eigene Varianten zur Verbindung seiner oft vielschichtigen Dachkonstruktionen, immer angetrieben von dem Ziel, möglichst wenig Material und Ressourcen zu verwenden. Sein Anspruch: eine Verhältnismäßigkeit von eingesetzten Materialien zu der tatsächlichen Lebensdauer eines Gebäudes. Betonbauten, die aus kommerziellen Gründen bereits nach wenigen Jahren abgerissen werden, widerstreben ihm. Seine Papierarchitektur andererseits beweist erstaunliche Stabilität und Dauerhaftigkeit. Verwendet er Holz, dann verzichtet er auf den Einsatz von Stahl als Verbindungs- und Verstärkungselement – zumindest, wenn das Gebäude nicht in absehbarer Zeit wieder demontiert werden soll. Denn der einzige Nachteil von Holzverbindungen, so erklärt er, sei deren Dauerhaftigkeit. Den Verzicht auf Stahl dagegen versteht er weniger als Hindernis denn als Chance für eine neue Form der Architektur. „Obwohl Holz eines der ältesten Baumaterialien ist, revolutioniert es die Art und Weise, wie wir heute Gebäude entwerfen und bauen“, erklärt der Architekt, der einmal von der New York Times ein „Umweltschützer durch Zufall“ genannt wurde. Eine treffende Bezeichnung, wie er selbst sagt.

Für Bans Architektur von zentraler Bedeutung ist das Dach: „Denn ein Dach erzeugt bereits automatisch einen Raum. Viel entscheidender aber ist, dass ein Dach nicht nur innen und außen voneinander trennt wie eine Wand, sondern einen Zwischenraum zulässt – eine Art Entweder- oder. Diesen Übergang finde ich sehr spannend. Ich möchte mit meinen Gebäuden innen und außen verbinden“, erklärt der Architekt, dessen Projekte immer wieder neue Herangehensweisen an das Zusammenspiel von innen und außen zeigen.

Auch das Bookshelf House (weiter oben) bewegt sich in diesem Spannungsfeld zwischen innen und außen. Der Erweiterungsbau mit einer Trägerkonstruktion, die als Bücherregal und Fensterfront dient, zeigt die funktionale Herangehensweise eines Architekten, den eher die Problemlösung als eine Formschaffung antreibt: „Um bei alldem so wenig Energie und Material zu verbrauchen wie nötig und gleichzeitig so viel Raum zu schaffen wie möglich.“

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